Ehrenamt gezielt fördern – DRK-Präsidentin Hasselfeldt im Gespräch

DRK-Pressemitteilung

Foto: Michael Handelmann/DRK

Gehen Deutschland die Helfer aus? Was kann man tun, um deren Arbeit zu würdigen, zu belohnen und Anreize zu schaffen? DRKPräsidentin Gerda Hasselfeldt sprach darüber im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (17.02.2018).

Frau Hasselfeldt, wie steht es um die Spendenbereitschaft der Deutschen ?

Gerda Hasselfeldt: Die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist ungebrochen hoch. Im Jahr 2016 unterstützten die Bürger die Arbeit des DRK mit Spenden in Höhe von 34 Millionen Euro. Für das Jahr 2017 zeichnet sich eine leichte Steigerung ab – die konkreten Zahlen liegen in den nächsten Wochen vor. Dies ist umso bemerkenswerter, als wir 2017 kaum spektakuläre Naturkatastrophen hatten, die gewöhnlich besonders stark zu Spenden animieren. Dennoch ist das Geld für unsere Arbeit im In- und Ausland auch außerhalb solcher besonderen Krisensituationen dringend notwendig, Es gibt zum Beispiel viele Konflikte wie in Syrien und Jemen, die jetzt schon lange andauern und für die wir dringend auf Spenden angewiesen sind.

Ein Sexskandal erschüttert Oxfam: Wie groß ist die Gefahr, dass Hilfsorganisationen generell in Misskredit geraten?

Gerda Hasselfeldt: Solche Vorfälle sind völlig inakzeptabel und dürfen unter keinen Umständen toleriert werden. Das DRK hat schon seit Jahren einige Vorkehrungen getroffen, um so etwas möglichst zu verhindern. Wir haben Standards zum Schutz gegen sexualisierte Gewalt. Wir haben einen unabhängigen Ombudsmann, der Beschwerden entgegennimmt. Und wir werden die Vorfälle bei Oxfam in Haiti zum Anlass nehmen, unsere Maßnahmen nochmals zu überprüfen.

Ohne Ehrenamtler geht es nicht. Wird deren Einsatz genug honoriert?

Gerda Hasselfeldt: Mir liegt sehr viel daran, das Ehrenamt weiter gezielt zu fördern und zu stärken. Es ist ein zentrales Fundament unserer Gesellschaft. Allein im Deutschen Roten Kreuz haben wir drei Millionen Fördermitglieder, die Zahl der Ehrenamtlichen ist erfreulicherweise seit 2010 von 395.000 auf 415.000 gewachsen - der demografischen Entwicklung zum Trotz. Ehrenamtler werden künftig verstärkt gebraucht in der Kinder- und Jugendarbeit, bei der Betreuung älterer Menschen oder der Integration von Flüchtlingen, auch beim Bevölkerungsschutz in Deutschland, wenn es Überschwemmungen oder ein großes Unglück gibt.

Sind neue Anreize nötig, um Helfer zu gewinnen?

Gerda Hasselfeldt: Ja, wir wünschen uns mehr Anreize für ehrenamtliches Engagement. Beitragen könnte dazu die Anrechnung langjährigen Engagements als Wartesemester für ein Studium oder die Einführung einer bundesweiten „Engagement-Karte“ analog zur Jugendleiter-Card. In vielen Bundesländern und Kommunen existieren bereits solche Ehrenamtskarten. Eine bundesweite Karte könnte die unterschiedlichen Angebote zusammenführen und dem Ganzen einen einheitlichen Rahmen geben, damit engagierte Menschen in Osnabrück, Garmisch oder Gera vergleichbare Chancen auf Anerkennung ihres Einsatzes haben.

Worum geht es genau?

Gerda Hasselfeldt: Dabei könnte es konkret um Vergünstigungen beim Besuch von Museen, Theatern, Kino, Schwimmbad, Sportveranstaltungen oder um Ermäßigungen im öffentlichen Nahverkehr oder einen Rabatt im Einzelhandel gehen. Eine solche bundesweite Ehrenamtskarte würde außerdem einen positiven Druck auf Länder und Kommunen ausüben, die ein solches Angebot bisher noch nicht haben. Es wäre ein Signal an alle, dass freiwilliges Engagement von der Gesellschaft auch anerkannt wird.

Fakt ist leider, dass Helfer bei Ihrer Arbeit angegriffen werden und Gaffer hemmungslos sind…

Gerda Hasselfeldt: Wer Rettungskräfte im Einsatz beschimpft oder gar angreift, gefährdet Menschenleben und gehört bestraft. Die Strafen für solche Übergriffe sind bereits verschärft worden. Die gesetzlichen Möglichkeiten dazu sollten auch voll ausgeschöpft werden. Wer Rettungskräfte behindert, macht sich zwar der Nötigung schuldig. Per Gesetz lässt sich jedoch nicht alles regeln. In den Köpfen der Menschen muss sich etwas ändern. Eine öffentliche Kampagne, die für mehr Respekt vor Helfern und Rettungskräften wirbt, wäre hier sicherlich hilfreich. Denn auch das Problem der Gaffer hat mit dem Siegeszug des Smartphone und der sozialen Netzwerke zugenommen. Auch hier gilt: Gaffer gefährden Menschenleben, weil es bei einem Noteinsatz auf jede Sekunde ankommt. Unfallopfer zu fotografieren und die Fotos dann in den sozialen Netzwerken hochzuladen, verletzt nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, sondern ist auch geschmacklos.

Blick ins Ausland: An Syriens Grenze zur Türkei wird heftig gekämpft. Was kann das Rote Kreuz tun?

Gerda Hasselfeldt: Wir sind sehr besorgt über die anhaltenden Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze in der Region Afrin und in der Region Ost-Ghouta bei Damaskus, wo rund 400.000 Menschen eingeschlossen sind und dringend Hilfe brauchen. Bei diesen Kämpfen gab es bereits Hunderte von zivilen Opfern und Tausende von Vertriebenen. In den vergangenen Wochen wurden uns zudem mehrere Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, Helfer und medizinisches Personal in verschiedenen Landesteilen berichtet. Wir appellieren eindringlich an die Konfliktparteien, die Einhaltung des humanitären Völkerrechtes zu gewährleisten und unseren Helfern sicheren und ungehinderten Zugang zur notleidenden Bevölkerung zu gewähren sowie das Rote Kreuz und den Roten Halbmond als Schutzzeichen zu respektieren.

Kann das DRK beim Wiederaufbau helfen?

Gerda Hasselfeldt: Nach wie vor befindet sich Syrien in einer akuten Krisenlage. Sechs Millionen Menschen sind als Binnenflüchtlinge im eigenen Land vertrieben und über 13 Millionen Menschen auf die Hilfe von humanitären Organisationen angewiesen, wie sie dort täglich vom DRK gemeinsam mit dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond und anderen Partnern geleistet wird. Jedoch ist auch wahr, dass die Situation in einigen Regionen Syriens wieder stabiler geworden ist. Dies zeigt sich am Rückgang der Zahl der Menschen, die in schwer erreichbaren oder belagerten Gebieten leben.

Ihre Bilanz für Syrien?

Gerda Hasselfeldt: Die humanitäre Situation der Zivilbevölkerung ist außergewöhnlich katastrophal. Ein paar Zahlen machen das deutlich: Mehr als die Hälfte aller syrischen Gesundheitseinrichtungen sind nicht mehr voll in Betrieb, gleichzeitig wird ein Anstieg von Erkrankungen wie Polio beobachtet. Mindestens ein Drittel aller Schulen sind entweder zerstört oder beschädigt. Etwa 1,75 Millionen Kinder – also fast ein Drittel der Kinder zwischen fünf und 17 Jahren - gehen nicht mehr zur Schule. Etwa jeder Dritte hat keine andere Alternative als verschmutztes Wasser zu trinken. Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist also riesig, Deshalb bleibt die Hilfe für die Menschen in Syrien und die syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern auch 2018 die größte Auslandsoperation des DRK. Dass es in einigen Gebieten ruhiger geworden ist, ändert daran nichts.

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